Zwischen Beruf und Gefühl

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Wenn der Bestatter selbst Abschied nehmen muss

Es gibt Tage im Leben eines Bestatters, die sind anders. Nicht, weil etwas Ungewöhnliches geschieht – sondern, weil der Tod plötzlich ganz nah kommt. Nicht im beruflichen Sinn, sondern mitten ins eigene Leben. Wenn ein Mensch geht, der einem wirklich etwas bedeutet hat, verliert der Tod seine Routine. Dann ist er nicht mehr Teil des Alltags, sondern bricht mitten ins Herz.

Der Mensch hinter dem Beruf

Als Bestatter bin ich es gewohnt, Abschiede zu begleiten. Ich höre zu, halte aus, tröste, organisiere, gestalte. Es ist meine Aufgabe, da zu sein, wenn andere Halt brauchen. Doch all das Wissen, all die Erfahrung – sie helfen kaum, wenn der Verlust einen selbst trifft. In solchen Momenten wird mir bewusst: Ich bin nicht nur Bestatter. Ich bin Mensch – mit Erinnerungen, mit Liebe, mit Schmerz.

Zwischen Beruf und Gefühl
Wenn der Bestatter selbst abschied nehmen muss.

Ich weiß, wie sehr es den Angehörigen hilft, wenn sie sich verabschieden können. Ich habe unzählige Male erlebt, wie wichtig Rituale sind, wie heilsam ein letzter Blick, eine Berührung, ein stilles Wort sein kann. Und doch – wenn der Mensch, der da liegt, jemand ist, den man selbst liebte, dann verändert sich alles.

Wenn ein Freund geht

Vor einiger Zeit habe ich einen Freund verloren. Ganz plötzlich, ohne Vorwarnung. Ein Mensch, der mitten im Leben stand, der lachte, plante, da war. Und auf einmal – Stille.
 Ich konnte ihn nicht selbst beisetzen. Das war schwerer, als ich gedacht hätte. Ich war es gewohnt, Abschiede zu gestalten, aber hier blieb mir nur die Rolle des Trauernden. Kein letzter Handgriff, kein stiller Moment der Begleitung. Nur Leere – und die Erkenntnis, dass der Tod, so vertraut er mir beruflich ist, privat noch einmal ein ganz anderes Gesicht hat.

Ein neuer Abschied

Nun habe ich erneut einen Freund verloren. Dieses Mal darf ich ihn selbst begleiten. Es ist seltsam – einerseits schenkt es mir Trost, andererseits fordert es mich heraus. Wenn ich seine Hände berühre, ihn ankleide, die Haare richte, dann ist jeder Handgriff aufgeladen mit Erinnerungen. Ich sehe nicht nur den Verstorbenen vor mir – ich sehe den Freund, der bei unserer letzten Begegnung noch lachte, der Geschichten erzählte, Pläne schmiedete.

In diesen Momenten verschwimmt die Grenze zwischen Beruf und Gefühl. Ich bin Bestatter, ja – aber ich bin auch Freund. Ich will, dass alles schön ist, dass er so geht, wie er gelebt hat: würdevoll, echt, ohne großes Aufhebens, aber mit Herz. Und während ich arbeite, merke ich, dass ich eigentlich trauere. Still, nach innen.

Wenn Zeit ein Geschenk ist – und wenn sie fehlt

Es ist ein Unterschied, ob ein Mensch nach einem langen Leben geht oder ob er viel zu früh gehen muss. Wenn sich ein Lebenskreis schließt, ist die Trauer von einer leisen Dankbarkeit begleitet. Es bleibt Raum für Erinnerungen, für Geschichten, für das Gefühl, dass etwas Ganzes zu Ende gegangen ist.
 Aber wenn jemand zu früh geht – wenn noch so viel offen war, so viele Worte, die nie gesprochen wurden – dann bricht die Welt ein Stück weit mit. Es fühlt sich an, als hätte jemand mitten im Satz den Ton ausgeschaltet.

Zwischen Stärke und Zerbrechlichkeit

Ich glaube, viele denken, dass Bestatter mit dem Tod umgehen können, weil sie ihn so oft sehen. Aber das stimmt nicht. Man lernt, ihn zu verstehen – vielleicht. Aber nicht, ihn leichter zu ertragen. Man lernt, für andere stark zu sein, doch man wird dadurch nicht unverwundbar.

Es braucht Mut, sich selbst die Erlaubnis zu geben, zu trauern. Und das tue ich: Ich nehme mir Zeit. Ich rede über ihn. Ich zünde eine Kerze an. Ich gehe an sein Grab und stehe da – nicht als Bestatter, sondern einfach als Mensch, der jemanden vermisst.

Was bleibt

Wenn ein Bestatter trauert, dann ist das kein Widerspruch zu seinem Beruf. Es ist das, was diesen Beruf menschlich macht. Denn am Ende ist der Tod nichts, was man verwalten kann – er ist etwas, das man fühlen muss.

Ich glaube, dass jeder Abschied, den ich persönlich erlebe, meine Arbeit verändert. Ich spüre noch tiefer, was Trauer mit Menschen macht. Ich weiß, wie schwer es ist, weiterzugehen, wenn jemand fehlt. Und vielleicht schenkt mir das genau die Art von Verständnis, die Worte oft nicht erreichen können.

Denn egal, ob wir Bestatter sind oder nicht – wir alle verlieren Menschen, die wir lieben. Wir alle stehen irgendwann an einem Grab und spüren, wie still es werden kann. Und wir alle hoffen, dass jemand da ist, der versteht.

Für mich bedeutet das: Ich begleite andere nicht trotz meiner eigenen Trauer – sondern mit ihr. Weil ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn ein Herz still wird, das man liebte. Und weil ich glaube, dass genau dort, wo Schmerz und Mitgefühl sich begegnen, etwas ganz Wertvolles entsteht: echte Menschlichkeit.